Walter Schäfer

"Corporibus caecis igitur natura gerit res"

Lukrez, De Rerum Natura 1/329

Leserbrief: Das oberste Gesetz

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Daniel Deckers: "Das oberste Gesetz" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.12.2009, Nr. 289, S. 1)

Volle Anerkennung für den Mut von Decker, die Dinge beim Namen zu nennen. Er hätte vielleicht etwas mehr quantifizieren können; das FAZ-Archiv gibt mehr her: Mehr als 1000 Fälle von Kindesmissbrauch allein in der Diöcese von San Diego, an die $3Mrd. Entschädigung für «Opfer» in den USA. Soviel ich weiss wurde der Zölibat zum Rigorosum erst mit dem Konzil von Trient; warum ging es dann über 1000 Jahre früher leicht und locker?

Warum kamen die essais von Montaigne auf den Index (philosophische Sprichwortsammlung). Weil Montaigne (Apologie de M. Sebond) erzählte, dass Papst Johannes XXII zwischen den Schenkeln einer Frau starb. Warum ist dessen Grabkapelle in Avignon verschlossen? Ich wollte dem ehrlichsten der Päpste Blumen bringen.

Warum schränkt man sich ein auf Nassträume, und/oder Masturbation und/oder Fummeln unter den Deckbetten Jugendlicher beiderlei Geschlechts und will einer Milliarde Katholiken vorschreiben, wie sie Sexus zu treiben haben? Da stellen sich doch Fälle von klinischer Psychotherapie. Die sind doch nicht mehr zu retten. Was suchen die Hände eines polnischen Erzbischofs in den Hosenläden polnischer Seminaristen? Die katholische Wahrheit?

Letztlich ist das Grundproblem theologischer Glaubwürdigkeit aber doch der Mythos, der zur absoluten Wahrheit gestempelt wird und an dem man sinnlos klebt.

Wir wissen heute mehr als die Kirchenväter und brauchen weniger zu glauben. «Glauben» ist nicht «Wissen»: Christus war Mensch mit einem diploiden Chromosomensatz, hälftig von einem leiblichen Vater und hälftig von einer leiblichen Mutter (abgesehen vom Genom extranuklearer Mitochondrien), gezeugt nach einem Verfahren, das seit Äonen schöpfungskonform und bei Könnern viel Freude spendend läuft. Arianus lieferte die bessere, klarere, einleuchtendere Theologie: Christus kein Gott.

Der Motor hinter Schöpfung und Evolution ist durchweg, Universum-weit, die Elektrodynamik der Valenzelektronen, da braucht es keinen Schöpfergott oder "somebody at the wheel" (Obama) mit durchweg anthropozentrischen Zügen. Das läuft von allein mit vier Grundkräften ehrlicher, kritischer, gründlicher Physiker.

"Corporibus caecis igitur natura gerit res", Lukrez I 329): Mit blinden Partikeln, so führt Natur die Geschäfte. Geschrieben etwa als Caesar in Gallien focht. So macht Lukrez Platon und Aristoteles zu naturphilosophischen Stümpern. Vor 2000 Jahren.

Die Platonpleite (man achte auf die Alliteration) springt einem doch bei PHAIDROS in die Augen: Sokrates "Nur der Mensch kann mich etwas lehren". Wie anspruchslos. Philosophisch armselig. Ein Rückschritt hinter vorsokratische Philosophie.

Hier liegt die Halbbildung von Geistes- und Grenzwissenschaftlern begründet. Kopernikus nannte 1542 (Schreiben an Paul III) die, die sein Werk verdammen werden – und damit rechnete er, er sah den Fall Galilei messerscharf voraus - «Mattäologen" (in meiner südhessischen Heimat übersetzt man das mit Dummbabblern), am 6. März 1616 sassen die Dummbabbler des Kopernikus auf den höchsten Stühlen im Vatikan, und sein Werk war auf dem Index. Die gregorianische Kalenderreform gründete darauf. Man hat im Vatikan vergessen, diese rückgängig zu machen.

Wissenschaft und Theologie kann man nur über Schizophrenie verketten. Und wer die Fakten des Universums bei der Lieferung von Weltbildern links liegen lässt, kann nur Holzwegnavigationsanweisungen geben. Die absoluten Wahrheiten von Theologien stehen gegen die wahrscheinlichen, aber besserbaren und zuverlässigeren Wahrheiten der Naturwissenschaften in totenstarrer Unversöhnlichkeit.

Der Theologie-Folgenabschätzung sollte politisch eine höchste Priorität eingeräumt werden: Es wird allerhöchste Zeit, dass die Theologen des Erdballs die Verantwortung übernehmen für die Folgen der Erfindungen ihrer instrumentellen Vernunft. So käme man auch der Beherrschung ideologischer Flächenbrände näher.


Brussel, 24.12.2009