Leserbrief: Formen des Nichtwissens
BackFörster: "Formen des Nichtwissens" (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.07.2007, Nr. 167, S. 8)
Was Förster vorträgt ist erbärmliches kreationistisches Gedankengut. Glauben ist hier deutlich, wenn man nichts Genaues weiss. Die wahrscheinliche aber besserbare Wahrheit der Wissenschaft steht den absoluten Wahrheiten der Theologen und anderer Grenzwissenschaftler inkompatibel und unversöhnlich gegenüber. Die erstere ist jedenfalls weit zuverlässiger als die zweite, sonst würden sich Theologen und andere Gläubige im Krankheitsfalle viel mehr aufs Beten verlassen als auf den Arzt.
Evolution als eine "sehr wenig abgesicherte Hypothese" zu bezeichnen ist geradezu grotesk. Schon Darwin stützte sich auf die künstliche Zuchtwahl (Tier- und Pflanzenzüchtung ; er war selbst Taubenzüchter) und auf die damaligen Ergebnisse der Geologie (Erdzeitalter mit ihren Zeiträumen) sowie auf die dort und damals gewonnene Paläobiologie. Wissenschaftstheoretisch war dies schon so eine durchaus solide Theorie. Heute ist die Molekularbiologie und insbesondere die Molekulargenetik über das letzte halbe Jahrhundert zur « Absicherung » dazu gekommen. Evolution ist heute fraglos und generell eine solide abgesicherte Theorie, natürlch besserbar.
Dies geht ganz offenbar weit über den Horizont von Förster hinaus. Ich empfehle zum Schlauermachen Raven, Johnson, Biology, 5th edition, Mac-Graw-Hill (Widerlegung kreationistischen Denk- oder besser Glaubens-Plunders) und "Artificial Life", Christopher Adami, Caltech, Springer-Verlag (Stand der Entwicklung künstlichen Lebens).
Völlig absurd ist, dass die Entstehung organischen Lebens aus Materie nicht bewiesen sei:
erstens hüpft an materielle Substrate gebundenes und biochemisch organisiertes Leben ständig vor den Augen Försters herum. Mit unbewaffnetem Auge kann er zwar nur die Hälfte sehen, denn die andere Hälfte der Biomasse sind Einzeller.
Zweitens war irdisches Bios-Leben nur möglich, wenn es in ein schmales Temperaturfenster passte. Und das kam erst sehr spät.
Drittens: Wir sind Asche aus Sternen (Materie). Nach dem Urknall musste erst Kohlenstoff her, Phosphor, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel, Calcium… Am Anfang konnte so auch kein « Wort » sein. Das kam erst mit dem Menschen und erst nach mehr als 10 Milliarden Jahren ! Älteste Spuren von Leben werden auf ein Alter von 3,8 Milliarden Jahren angesetzt. Anthropischer oder anthropomorpher göttlicher Geist ist da undenkbar. Es bleibt Materie und Energie, ohne die lebender Geist nicht denkbar ist. Wie macht Gott sein ATP (Adenosintriphosphat) für die Energie zu Denken, Fühlen und Handeln?
Viertens: Lebender Geist ist biochemisch an materielle Hirnsubstrate gebunden. Seit 3,8 Milliarden Jahren ist Leben auf der Erde an Materie gebunden. Es wird durch schöpfungskonformen Sex (Schöpfung = Fakten des Universums), oder durch Zellteilung oder auch parthenogenetisch (nicht beim Menschen) immer wieder weitergegeben, und nur katholische Priester müssen, skrupellos ausgebeutet, da unverständliche Leiden ertragen. Zwei Milliarden Dollar bezahlen katholische Diözesen in den USA als Schulden für Versagen an Menschenwürdigkeit und biologischer Kulturhöhe (schöpfungskonformer Sexus).
Für Förster bleibt nur der Glaube an des Menschen Gottähnlichkeit:
In jeder unserer Zellen lebt die Bioserfahrung von 3,8 Milliarden Jahren. Der Mensch ist biochemisch voll eingebunden in den Bios (sehr weitgehende Stoffwechselanalogien usw.). Damit müssen auch die Bienen, die Ameisen, die Schmetterlinge, die Wildsäue, die Läuse und die Flöhe…. gottähnlich sein.
Zum Schlauermachen empfehle ich Herrn Förster auch einen frühen Vorsokratiker, Xenophanes von Kolophon, der schon vor 2500 Jahren die anthropomorphen Gottesbilder biederer einfältiger Gottesmacher lächerlich machte.
Vergessen wir nicht Voltaire, « Priester sind nicht, was ein simples Volk denkt. Unsere Leichtgläubigkeit wird zu leicht durch sie gelenkt. » (Les prêtres ne sont pas ce qu’un vain peuple pense. Notre crédulité fait toute leur science). Man sollte hier auch einmal daran denken, dass der despektierliche Term Materialismus von Leuten geprägt wurde, die nicht die leiseste Ahnung davon hatten, was Materie ist und was Materie kann.
Die Bibellektüre brachte mir nicht die von Philosophen gesuchte Ataraxie, wohl aber der Zugriff der Wissenschaft auf die Fakten des Universums. Das Wissen der Natur-Wissenschaft ist für mich das zuverlässigste und ehrlichste Wissen der Menschheit. Die Neider sterben nicht aus. Nach den Kräften, die das Universum wirken, haben am ehrlichsten, gründlichsten und kritischsten die Physiker gesucht. Vergessen wir hier die Theologen. Eine Handvoll Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Die Physiker haben nichts Übernatürliches gefunden. Die Hunderte von Feld-, Wald- und Wiesengöttern sind von Theologen gemacht, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für Alles gemietet werden können. Brecht hat sich mit seinem « Galilei » in der Adresse geirrt.
Theologiefolgenabschätzung ist mindestens eben so wichtig wie und dringlicher als Technologiefolgen-abschätzung.
Brussel, 24.07.2007