Walter Schäfer

"Corporibus caecis igitur natura gerit res"

Lukrez, De Rerum Natura 1/329

Leserbrief: Für eine Ethik des Aufgebens

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Johann Hinrich Claussen: "Für eine Ethik des Aufgebens" von (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2005, Nr. 297, S. N3)

Der Artikel zeigt sehr interessante Zusammenhänge auf, deren Kenntnis kaum quantitativ geläufig ist. Aber er drängt doch auch die Frage auf, ob es nicht besser gewesen wäre, früher alte Mauern theologischen Denkens aufzugeben, bevor man altes, sicherlich auch durch Traditionen ehrwürdiges Gemäuer aufgibt.

In der "Rück"sicht kann man sagen, dass die Anregungen und die Ansätze zum Aufgeben absurder theologischer Substanz recht zahlreich gewesen sind. Die Sonnenscheibe zum einzigen Gott zu machen (Eschnaton), ist das Cleverste was ich an Theologie-Ansätzen gesehen habe. Welche Ansätze zur Modernisierung in den Systemen von Augustinus, Albertus Magnus, Wilhelm von Ockham, Nikolaus von Cusa!

Es läuft doch alles auf das Verstehen von Schöpfung und die Einordnung des Menschen in diesen Rahmen hinaus. Und die Physiker, Chemiker und Biologen bieten mit ihrer wahrscheinlichen und besserbaren Wahrheit um die Fakten des Universums, um die sich selbst schaffende Schöpfung, eine weit zuverlässigere Basis als alles, was die Theologen von heute dazu von sich geben.

Eine Untermenge von Theologen schränkt sich beim Sexus ein in einer Weise, die nicht schöpfungskonform ist ("so hat es der liebe Gott sicherlich nicht gewollt"), aber sie machen einer Milliarde von Gläubigen Vorschriften, wie man Sexus zu treiben habe. Da kann man doch nur an Zirkus denken. Der ehrlichste Papst? Johannes XXII. Er starb im Alter von 89 Jahren zwischen den Schenkeln einer Frau, trotz Zölibats-Gelöbnis. Die «Essais» von Michel de Montaigne kamen wohl auf den Index, weil dieser diese Story zum Besten gab.

Was suchen die Hände eines Erzbischofs in den Hosenläden polnischer Theologie-Seminaristen? Die katholische Wahrheit? Warum ist Karl der Grosse Kaiser geworden? Weil sich im Vatikan ein enormer Bedarf an ethischem Hausputz angestaut hatte. Eine Million deutscher Frauen wurden als Hexen verbrannt. Die letzten 1780!

Wenn ich nicht mehr weiter weiss, muss ich natürlich glauben. Aber die Theologen des Erdballs wissen sehr früh nicht mehr weiter, sie wissen zu wenig und glauben zu viel. Ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können (s.o.).

Ich feiere an Weihnachten in Tirol einen Christus, der Mensch war wie jeder von uns und der nicht wiederkommen wird in Fleisch und in Blut. Warum er und nicht auch die Ameisen, die Wildschweine, die Gänseblümchen, die Brennesseln und die Schmetterlinge?

Die instrumentelle Vernunft der Theologen ein Platon-Verhängnis? Nur der Mensch kann mich etwas lehren (Phaidros)?Warum so viel Platon, und warum so wenig Lucretius? Da muss man doch dumm bleiben, selbst wenn man altes Gemäuer aufgibt.


Brussel, 10.02.2010