Walter Schäfer

"Corporibus caecis igitur natura gerit res"

Lukrez, De Rerum Natura 1/329

Leserbrief: Wehrt Euch gegen die Bananenbürokratie

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Hans Magnus Enzensberger: "Wehrt Euch gegen die Bananenbürokratie" von (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2010, Nr. 28, S. 27)

Mit seinem Beitrag hat Enzensberger nicht nur die FAZ zu einem Bananenblatt entwürdigt (die BILD-Zeitung macht sich gründlicher schlau), sondern er hat auch die hervorragende Arbeit von FAZ-Journalisten, von Götz (zu Zeiten Hallsteins) bis heute zu Stabenow in Brüssel mit seiner Medienkultur-losen Saftladenarbeit torpediert. Nach 35 Dienstjahren bei der Kommission und 15 Jahren im Ruhestand möchte ich bei dem offenbaren Mangel an interner FAZ-Redaktionskonsultation (die Feuilletonredaktion FAZ-intern recht konsultationsfaul) mit Enzensberger nicht viel Zeit verlieren (auch wenn ich nicht verstehe, dass man dort nicht einmal auf der Webseite der Kommission googelt) und beschränke mich darauf, klar zu machen,

1) dass Enzensberger von der Europäischen Union und ihrer Geschichte so gut wie nichts versteht: in allen Bereichen, in denen die Kommission mit technischer Rechtsangleichung regelt, hat sie von der Summe der Mitgliedstaaten (Ministerrat) präzise Mandate für einen ihrer wichtigsten Arbeitsbereiche, denn seit 25 oder gar 30 Jahren sind Personen, Güter und Dienstleistungen im freien Verkehr, kennen keine innergemeinschaftlichen Grenzen mehr, dank intensiver jahrelanger und sorgfältiger Vorbereitungsarbeit mit allen betroffenen Interessengruppen. Durchweg wissen das auch viele Regierungsmitglieder der Mitgliedsländer nicht, wenn sie für hausgemachte nationale Schieflagen mangels Masse die Kommission oder „Brüssel“ herhalten lassen. Jetzt fehlt nur noch, dass Papandreou jr. in Griechenland die Kommission voll für die „veritas graeca“ der Zahlen verantwortlich macht, die Griechenland nach Brüssel geliefert hat, um in die Euro-Zone zu kommen. Im alten Rom war veritas graeca eine idiomatische Formel für eine Lüge.

2) dass Enzensberger auch von Kondomen nichts versteht: Es mag ja sein, dass Enzensberger das nicht kümmert wenn die Dinger doch vor Aids und Alimente gut schützen müssen, damit dürfte er aber in Europa zu einer bescheidenen Minorität gehören. Will er die Grenzkontrollen für nur national reglementierte Waren wieder einführen, von deren Wegfall übrigens vor allem die deutsche Wirtschaft profitiert, wahrscheinlich auch für sichere Kondome und deren qualitätsbewusste Verbraucher?

3) dass Enzensberger auch bei politischer Sinnsuche in Europa eine eher ärmliche Phantasie entwickelt: ich überlasse es ihm, auf der Webseite der Kommission nach der Schumann-Erklärung zu googeln (9. Mai 1950) und die beiden ersten Sätze auswendig zu lernen. Diese beiden Sätze habe ich 35 Jahre lang bei jedem Vortrag, völlig gleich, welches Thema, mit einem overhead an die Leinwand geworfen: Die prioritäre Zielsetzung des Europas der Gemeinschaft. Die Europäische Sinnerfüllung werden wir am 9. Mai 2010 nicht nur mit 60 Jahren "Europa im Team" feiern, sondern auch mit 65 Jahren Frieden, auch mit allem, was hinter Schillers Lied an die Freude und hinter der Musik von Beethoven steht. Und vergessen wir Deutsche vor allem nicht, dass wir auf diesem Weg mit wieder ein Volk von Kulturträgern geworden sind, mit Hilfe von Freunden in der Mannschaft, auch wenn Mattäologe Enzensberger das in seinen Sinnhorizonten nicht wahrnimmt. Bis 1945 haben doch die Deutschen noch im Bett die Hände an die Schlafanzughosennähte gelegt und von Karabinern geträumt.

Noch ganz nebenbei: 35 Dienstjahre und 15 Ruhestandsjahre lang habe ich wie alle Kollegen Steuern gezahlt. Für Januar 2010 €1610,27. Herrlich, bald 50 Jahre bezahlt und nie was mit einem Finanzamt zu tun gehabt. Vor über 20 Jahren fiel die FAZ auf eine bayrische Europaministerpfeife herein und brachte auf Seite 1 die Nachricht, dass Europabeamte keine Steuern zahlen. Das liest sich jetzt auch so bei Enzensberger: elementarste Griffigkeitsprobleme bei Fakten; FAZ nichts dazugelernt in 20 Jahren. Damals habe ich mich geweigert, vor bayrischen Besuchergruppen Vorträge (Industriepolitik, Forschungspolitik) zu halten und habe dies auch getan, bis der Mann in München gefeuert wurde.

Wie, wenn man in allen Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft den Mann und die Frau auf der Strasse fragte, was sie von ihrer nationalen Verfassung wissen und wie ihre nationale Verwaltung funktioniert, auf voller Breite? Viel mehr als bei „Brüsseler“ Volksbefragungen wird da auch nicht herauskommen. Da hilft nur GOOGLE, sich schlau machen. Das ist sehr schwer, wenn man lieber schläft. Sollten nicht Politik und Ökonomie mehr flächendeckend in die Allgemeinbildung integriert werden? Gibt die EU nicht das attraktivste Modell ab für die Mondialisierung?

Übrigens wirft Enzensberger der Kommission im Zusammenhang mit Kruzifixen Regulierungssucht vor. Es gibt nur ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Kruzifix infolge eines bisher nur in Italien gelaufenen Rechtsstreits. Weder die Kommission noch der Ministerrat haben damit in irgendeiner Weise etwas zu tun. Ist damit Enzensberger nicht ein verantwortungsloser dünnbrettbohrender Schlamper? Die Feuilleton-Redaktion der FAZ (Bahners) kann keine politischen Texte beurteilen, da sie mit Texten ihrer Zulieferer in völlig oberflächlicher Weise umgeht. Die beiden Mattäologen hätten das in zwei Minuten bei Google mit "EU, Kruzifix" an Land holen können. Kopernikus benutzt den Term Mattäologen in seinem Widmungsschreiben an Paul III. Wissen die beiden wer Stabenow ist und was der macht? Kann die FAZ noch kritisch arbeiten? Meine Sprache ist voll angebracht: Ich habe 35 Jahre lang nicht in einer Bananenbürokratie gearbeitet. Ich kannte Götz in den 60er Jahren persönlich recht gut: Das war FAZ-Journalismus bester Klasse.


Brussel, 10.02.2010